Future Hospital – Der Wandel ist machbar!

Future Hospital – Im Gespräch

Im Gespräch mit: Prof. Dr.-Ing. Thomas Bauernhansl, Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA, Institut für industrielle Fertigung und Fabrikbetrieb IFF – Universität Stuttgart; Dr.-Ing. Martin Schönheit, geschäftsführender Gesellschafter Dr. Schönheit + P. Consulting GmbH; Prof. Dr. med. Ralf-Joachim Schulz, Chefarzt der Klinik für Geriatrie, St. Marien-Hospital, Köln
 

Wer auch zukünftig wettbewerbsfähig bleiben möchte, kann sich der Digitalisierung im Betrieb und im Gesundheitswesen nicht verschließen. Welche wichtigen Aspekte sind aus Ihrer Sicht zu beachten?

Dr. Bauernhansl: Die Digitale Transformation der Industrie hat ja zwei große Felder: das Frontend und das Backend. Das Frontend fragt: Wie kann ich sehr kundenzentriert meine Dienste und Produkte für den Markt entwickeln und monetarisieren? Es geht hier um Nutzenführerschaft, weniger um Technologie- oder Marktführerschaft. Im Backend geht es darum: Wie sieht meine Leistungserstellung aus? Wie kann ich die effizient und verschwendungsarm gestalten, um diesen Nutzen zu erzeugen? Übertragen auf das Gesundheitswesen ist der Kunde der Patient. Das heißt, hocheffizient die Geschäftsprozesse End-to-End zu gestalten mit dem Ziel, für den Patienten einen optimalen Nutzen, das heißt schnelle Genesung, zu erzeugen, für den er selbst oder die Versicherung bereit ist zu bezahlen.

Dr. Schönheit: Mit Blick auf produzierende Unternehmen haben wir die Vision, dass der Betrieb der Zukunft sich selbst organisieren und steuern kann. Mit künstlicher Intelligenz sollte der eigenverantwortliche Mensch im Arbeitsprozess mit zeitnahen Informationen in seinem Entscheidungsprozess unterstützt werden. Ich verstehe die technischen Möglichkeiten der Datenvernetzung als eine zweite digitale Haut im Umfeld des handelnden Menschen. In zahlreichen produzierenden Betrieben, Marktführer ihrer Branche, ist dies längst der Fall. Die gleichen Ansätze der digitalen Wertschöpfung lassen sich auf die wissens- und erfahrungsgesteuerte operative Arbeit zwischen Arzt und Patienten im Krankenhaus der Zukunft transferieren. Darum geht es uns.

Dr. Schulz: Krankenhausdigitalisierung bedeutet einen erheblichen Mehraufwand bei Datenschutz und Datensicherung und benötigt darüber hinaus ein gut durchdachtes Ausfallkonzept. Die Umsetzung von papierbasierten Arbeits- und Dokumentationsprozessen erfordert eine oft unterschätzte IT-Unterstützung, die meist die bestehenden Arbeitsgruppen überfordert. Es sollte daher vor der Umsetzung eine neue „Berufsgruppe“ im Krankenhaus eingeplant werden, die geplanten Maßnahmen sollten konzeptionell erweiterbar und möglichst in bestehende Systeme integrierbar sein. Gute Digitalisierung bedeutet außerdem regelmäßige Updates mit regelmäßigen Kosten und Schulungsaufwand.

 

Architektur und Raumgestaltung haben einen großen Einfluss auf den Menschen und sein Befinden im Raum und am Arbeitsplatz. Dies kann sowohl in der Patientenpflege als auch im Klinikbetrieb von Nutzen sein. Wie sieht für Sie sinnstiftende Raumgestaltung in der Zukunft aus?

Dr. Bauernhansl: Es bietet sich an, auch die Raumgestaltung patientenzentriert zu denken und entsprechend aufzubauen. Als Architekturlaie kann ich hier nur die Perspektive des Patienten oder des Prozessoptimierers einnehmen. Natürlich hat es einen großen Einfluss auf das Wohlbefinden, wie Arbeitsplätze/Untersuchungsräume/Patientenzimmer gestaltet sind. Heute ist es so, dass man beim Betreten des Krankenhauses das sieht was man erwartet. Man weiß sofort, dass man im Krankenhaus ist. Wenn man sich hier wohltuend differenzieren würde, wäre das sicher positiv. Richtig durchgeführt, würde es den nutzenorientierten und prozessorientierten Ansatz auch sicher unterstützen.

Dr. Schönheit: Sinnstiftende Raumgestaltung lässt sich zunächst mit dem Bedarf der im Raum lebenden und arbeitenden Menschen definieren. Vor der Planung sollten die Menschen zunächst nach ihren Nutzungserwartungen gefragt werden, als Basis für eine Planung von innen nach außen. Licht, Farbe und biologischer Rhythmus des Tagesablaufs und des Jahreszyklus haben Einfluss auf eine sinnstiftende Raumgestaltung. Architekten und Prozessplaner erzeugen wandelbare, agile Räume, in denen Konzentration, Dialog und Entspannung ausgewogen erlebt werden können. Diese Leitmotive auf ein Krankenhaus der Zukunft zu übertragen, halte ich für geboten.

Dr. Schulz: Raumgestaltung im Krankenhaus bedeutet eine wichtige Möglichkeit, die Personalzufriedenheit zu verbessern. Nur dann stimmen die Qualität und die Effektivität in der Patientenversorgung. Davon hängen maßgeblich das Betriebsergebnis und der Ruf der Klinik ab. Die Architektur kann durch klare Strukturen den Charakter eines Gebäudes und die Stimmung bzw. das Wohlbefinden beeinflussen.

 

Wie sieht die optimale Führungskultur in einem Unternehmen aus? Wie lässt sich das auf das Krankenhaus der Zukunft übertragen?

Dr. Bauernhansl: Es gibt sowohl eine transaktionale als auch eine transformale Perspektive. Aufgrund der Verantwortung, die das Krankhaus hat, gibt es notwendigerweise viele Regeln und es hat sich ein hierarchisches System herausgebildet – der transaktionale Ansatz. Andererseits braucht es neben der medizinischen und der wirtschaftlichen Perspektive auch die Patientenperspektive, der transformale Ansatz: Wie kann ich den Patienten, die Mediziner und die Wirtschaft gleichgewichtet in einer Organisation in ein Miteinander, eine Kooperation bringen, in der alle ihre Ziele verantwortungsvoll erreichen können, und trotzdem die geltenden Regeln eingehalten werden? Das ist die Herausforderung: Organisationen entsprechend aufzubauen, aber auch eine entsprechende Führungskultur zu entwickeln.

Dr. Schönheit: Als optimale Führungskultur in einer agilen Organisation sehe ich die Verschmelzung von Commitment und Handeln aller am Leistungsprozess beteiligten Menschen, ausgerichtet auf ein gemeinsames Ziel. Die Organisation wird erlebt als nachfrageorientierte „organization on-demand“. Die Änderungswilligkeit einer Führungskraft ebenso wie die Fähigkeit, als begeisterungsfähige und glaubwürdige Person Menschen zu diesem gemeinsamen Ziel zu motivieren, sind entscheidend. Damit werden die Soft Skills der Vergangenheit zu den Hard Facts von heute. Auf das Future Hospital bezogen erfährt der Kunde „Patient“ von den handelnden Ärzten und pflegenden Personal eine optimale an seinem persönlichen Bedarf ausgerichtete Medikation, Behandlung und Therapie.

Dr. Schulz: Die heutige Mitarbeitergeneration sucht nach sinnstiftenden Formen der Zusammenarbeit. Dies bedeutet aber nicht, dass Hierarchien vollständig aufgelöst werden sollten, sondern eher unter einer klar erkennbaren Führungsstruktur eine Kultur entsteht, wonach derjenige für eine Aufgabe eingesetzt wird, für die er sich am besten eignet. Die Lösung eines Problems oder die Erarbeitung einer Aufgabe ist das Ziel, nicht aber in starren Organisationen, sondern in einem lebendigen System. Die Digitalisierung schafft räumliche Unabhängigkeit, dennoch sollte aber der menschliche Kontakt mit seiner emotionalen Stimulation und Kontrolle nicht vernachlässigt werden. Denn Mitarbeiter im Krankenhaus haben einen Beruf gewählt der die Mensch-Mensch-Interaktion als Grundlage benötigt.

 

Die Definition und der Ablauf sinnvoller Prozesse sind die Basis eines funktionierenden Klinikbetriebs. Gibt es für das Krankenhaus der Zukunft aus Ihrer Beobachtung heraus Optimierungsbedarf? Wenn ja, welchen?

Dr. Bauernhansl: Wir brauchen eine genaue Definition der End-to-End-Prozesse, die beim Patienten anfangen und beim Patienten aufhören, immer mit dem Ziel, den Gesundheitsstatus und das Wohlbefinden des Patienten zu verbessern. Die Digitalisierung kann uns im Hintergrund dabei helfen, die Prozesse so effizient zu gestalten, dass sie auch bezahlbar sind. Genau in diesen Prozessen müssen wir denken und dahinter unsere Organisation, unsere Vernetzung, unser Führungssystem entsprechend aufbauen – mit Hilfe von digitalen Werkzeugen. Wenn wir das geschafft haben, wird am Ende eine hocheffiziente Prozesslandschaft herauskommen, die für alle Beteiligten, so denke ich, Vorteile bringt: wirtschaftliche, medizinische aber auch hinsichtlich des Wohlbefindens und des Gesundheitszustands der Patienten.

Dr. Schönheit: Aus der Beratungserfahrung in Kliniken beobachten wir an mehreren Stellen Optimierungsbedarf. Es handelt sich um organisatorische Grundsätze, Führungsfähigkeiten, der Mangel an einer gemeinsam getragenen Systemidee für das Ineinandergreifen aller Leistungsprozesse. Oft fehlen einfach klar definierte Leistungskennzahlen als Orientierung. Zunächst muss für jeden in der Organisation klar sein, wer die Richtung vorgibt und wer der Abnehmer der erbrachten Werte sein soll. Ärzte, Pflege, Apotheke, Raumpflege, Hygiene, Logistik, Anästhesie und Sterilprozess, um nur einige zu nennen, alle haben einen Taktgeber. Das Orchester verträgt nur einen Dirigenten. Der Patient muss jederzeit der Nutznießer sein.

Dr. Schulz: Die medizinischen Behandlungsmethoden verändern sich derzeit rapide und erfordern zunehmend andere Schwerpunkte und Logistikstrukturen mit zunehmender „Ambulantisierung“. Darauf muss sich das Krankenhaus in seinem Selbstverständnis und seinen Organigrammen einstellen. Kaum ein Fachgebiet benötigt in der Medizin noch die klassischen althergebrachten Strukturen der 90er Jahre. Funktionierende Prozesse sollten regelmäßig auf die Notwendigkeit geprüft werden: Sind sie zum Beispiel in 3 – 5 Jahren noch relevant? Die Einführung neuer Prozesse erfordert Vorbereitungszeiten und Abstimmungsbedarf, der nicht ad hoc gelingen kann. Außerdem ist es bei Einführung eines neuen Prozesses wichtig der Frage nachzugehen, was dafür alles abgelöst oder abgeschafft werden kann.

 

Future Hospital – Was macht für Sie das Krankenhaus der Zukunft aus?

Dr. Bauernhansl: Ich glaube, dass die Grenzen der einzelnen Institutionen (Arztpraxis, Krankenhaus, Reha-Klinik) zukünftig unterhalb der verschiedenen Phasen verschwinden werden. Das Krankenhaus kann eine Rolle in der Phase der Prävention spielen, auch in der Phase der Diagnose und natürlich weiterhin bei der Therapie und Nachsorge. Aber es gibt da auch andere Institutionen, die eine große Rolle spielen werden. Das grenzenlose Zusammenfließen der Leistungsspektren mit dem Ziel, die Patienten in den Mittelpunkt zu stellen, das macht das Krankenhaus der Zukunft aus. Es geht darum, das Wohlbefinden des Patienten in den Mittelpunkt zu stellen. Darum herum gibt es dann ein Gesundheits-Ökosystem, welches dafür sorgt, dass ich gesund bin, dass es mir gut geht.

Dr. Schönheit: Future Hospital, das Krankenhaus der Zukunft, lässt systemisch am Nutzen für den Patienten ausgerichtet jederzeit Werte entstehen. Physische Wertströme und digitale Wertschöpfung legen sich wie eine zweite Haut um die Anatomie der neuen Krankenhausstruktur. Alle Ärzte greifen auf die gleiche Information einer digitalen Krankenakte zurück. Das logistische System Krankenhaus steuert sich in seinen Wertströmen „on-demand“ nachfragegeregelt selbst. Das gut ausgebildete Personal wird durch eine sinnstiftende Digitalisierung von Routinearbeiten befreit und findet „Mehrzeit“ für den Patienten. Die Räume bieten ein motivierendes Umfeld, in dem es Spaß macht, gesund zu werden beziehungsweise Dienst am Patienten zu tun. Im Ergebnis wird das Future Hospital smart, intelligent, bedarfsgerecht.

Dr. Schulz: Um zukünftig dem medizinisch-technischen Fortschritt gewachsen zu sein, ist eine hohe Fach- und Sachkompetenz mit lebendigen Führungsstrukturen nötig, ebenso wie ein hoher Bedarf an Investitionen. Das Krankenhaus der Zukunft ist stark mit dem ambulanten Versorgungsnetzwerken vernetzt und deutlich mehr am Patienten orientiert. Es gibt eine verbesserte Kommunikation mit früheren und möglichen zukünftigen Patienten, aber besonders mit den Angehörigen auf allen technisch möglichen Kanälen. Das Krankenhaus der Zukunft kann nur bestehen, wenn es für die Mitarbeiter attraktiv ist und die Aufgaben sinnstiftend sind. Klassische Belohnungsmechanismen sind dabei nur noch bedingt erfolgreich.

 

Können Ärzte und Manager aus dem Klinikbetrieb von der Produktionswelt in der Industrie lernen? Welche Parallelen sehen Sie und welche davon lassen sich gut übertragen?

Dr. Bauernhansl: Wenn man Lean Management, das mittlerweile Standard in der Produktion ist, auf das Krankenhaus überträgt, kann man große Schritte machen. Alle Prozesse, die keinen Beitrag zur Gesundheit des Patienten leisten, sind zunächst als Verschwendung einzustufen und müssen mit Hilfe von technischen oder organisatorischen Maßnahmen minimiert oder eliminiert werden. Wenn man dann die Prinzipien von Industrie 4.0 überträgt, die nochmals einen neuen Innovationsraum eröffnen, um Verschwendung zu minimieren und Prozesse zu optimieren, ist man plötzlich in einer ganz anderen Welt unterwegs. Das Wohlbefinden des Patienten, das Vertrauen in das, was gerade mit ihm geschieht, ist schon die halbe Miete, die andere Hälfte ist natürlich die professionelle, medizinische Arbeit. Beides zusammen macht den Therapieerfolg aus.

Dr. Schönheit: Wir wurden als Berater aus der Produktionswelt zur Optimierung der Prozesse im Krankenhaus ausgewählt, um genau diesen Transfer herbeizuführen. Die Industrie hat in den letzten 20 Jahren enorme Anstrengungen unternommen, mit jedem Handgriff Werte entlang der Prozesse zu einem Operations System zu schaffen. Fundamentale Idee dabei ist, mit kleinen Schritten jeden Tag ein wenig besser zu werden. „Continous Improvement“ prägt die Prinzipien des Lean Management und des Change Management. Diese erfolgreichen Ansätze zur Wertsteigerung in jedem Prozess lassen sich einfach auf das Krankenhaus der Zukunft übertragen.

Dr. Schulz: Während Robotik und prozessuales Arbeiten in der Industrie aus dem Alltag nicht wegzudenken ist, steht die Medizin derzeit noch ganz am Anfang, dies bei der Unterstützung der Mensch-zu-Mensch Interaktion zu berücksichtigen. Das Verständnis, dass Technik und Algorithmen das menschliche Handeln qualitativ unterstützend begleiten und in welcher Form dies ethisch vertretbar ist, gilt es im Erfahrungsaustausch zu evaluieren.

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