Die Rückkehr der Produktion in die Stadt

„Köln braucht einen industriellen Masterplan“

„Die Rückkehr der Produktion in die Stadt“ – unter diesem Thema hatten die IHK zu Köln und der VDI Bezirksverein Köln am 27. März 2019 zum öffentlichen Dialog eingeladen. Hintergrund: Industrielle Fertigung differenziert und digitalisiert sich – und braucht direkte Anbindung zu den Wissens- und Kreativitätsquellen im innerstädtischen Raum. Die Teilnehmer plädierten für mehr gewerbliche Vielfalt und eine neue, verträgliche Mischung aus Wohnen und Arbeiten. Um die öffentliche Infrastruktur auf die neuen Herausforderungen anzupassen, sei mehr Partizipation, bessere Kommunikation und schnelles, qualitätsvolles Verwaltungshandeln notwendig.

Dr. Andreas Widl, CEO der SAMSON AG, Frankfurt, erläuterte in seinem Impulsreferat die Beweggründe, warum das Unternehmen seinen Standort nie aus der Großstadt verlegt hat: „Der Zugang zu Talenten, die urbane Vielfalt und Internationalität sind für uns ebenso wichtig wie die Nähe zu Universitäten, gerade als Qualitätsführer.“ Als größter verbliebener industrieller Arbeitgeber von Frankfurt sehe sich das Unternehmen auch in der Verantwortung für seinen Heimatstandort: „Wir sind ein Traditionsbetrieb und haben uns bewusst gegen eine Produktionsverlagerung nach China entschieden.“ Er erwarte aber im Gegenzug mehr Unterstützung von städtischer Seite, etwa durch einen Key Account Manager, der Kompetenzen aus mehreren Behörden bündeln könne.

Die Logik der industriellen Moderne überwinden

Prof. Johannes Kister, Architekt und Stadtplaner bei kister scheithauer gross in Köln erläuterte den städtischen Raum aus dem Denken der Moderne heraus: „Die Produktion war schon immer in der Stadt. Erst mit der Schwerindustrie wurden die Funktionsbereiche getrennt, etwa um das Wohnen vor den industriellen Belastungen zu schützen. Wir müssen dieses Denken heute überwinden.“ Demnächst komme die Arbeit zu den Menschen statt umgekehrt – in Form von dezentraler Manufaktur-Produktion mit wenig Emissionen und hoher Wertschöpfung. Darauf sei Köln nicht vorbereitet. Dabei gebe es große Chancen: „Der Stadtraum ist ein natürliches Habitat und hat ungeheure Qualität für die Menschen zu bieten, aber die Infrastruktur blockiert den Weg dorthin. Wir reservieren viel zu viel Fläche für den Verkehr und schaffen keine echten Mischgebiete mit Frei- und Begegnungsräumen. Der Mensch will sich doch nicht nur auf dem Bürgersteig entfalten!“ Selbst das Projekt Deutzer Hafen sei von Grundriss-Maximierung geprägt, nicht von Differenzierung der Funktionen.

In zwei Workshops entwickelten die Teilnehmer Ideen und Lösungsansätze. Konsens herrschte darüber, dass auch das Halten bestehender Betriebe nicht vergessen werden dürfe. Wichtig war den Teilnehmern eine bessere Flächennutzung, etwa durch Verdichtung gewachsener Gewerbegebiete, Stapelung von (insbesondere produktionsirrelevanten) Flächen, Überbauung von Flachbauten und Parkplätzen, Bereitstellung von Erdgeschossen in Wohnimmobilien für Produktionsbetriebe und gemeinsam genutzte Logistik-Einrichtungen. Mobilitäts-Hubs in Form von Zwischenstationen für den Warenverkehr könnten den gewerblichen Verkehr drastisch reduzieren.

Konkurrenz zwischen Produktion und Wohnen vermeiden

Verkehrsarmer Produktion solle generell der Vorzug gegeben werden, an der Wiederansiedlung alter Industrie sei niemand interessiert. Die hohen Flächenkosten in der Stadt seien für personal-, forschungs- und wertschöpfungsintensive Betriebe tragbar, die wenig Platz beanspruchten. Beispiele für individualisierte Kleinstproduktion gebe es unter anderem im Bereich Pharma, Optik oder Lebensmittelherstellung. Selbst Dächer seien nutzbar, etwa für landwirtschaftlichen Anbau, der vor Ort verarbeitet werden könne. Kritisch sahen die Teilnehmer die Konkurrenz zu Wohnflächen, an denen es in Köln ebenfalls mangele. Dies sei ein großes Hindernis für die Akzeptanz von Produktionsbetrieben. Dabei sei Wohnraum in unmittelbarer Nähe zum Arbeitgeber attraktiv, weshalb vereinzelt sogar wieder Werkswohnungen entstünden.

Horst Behr, Vorsitzender des VDI Bezirksvereins Köln: „Die frühzeitige Einbindung gerade von Anwohnern entscheidet oft über den Erfolg einer Ansiedlung. Es gilt, verständliche Ängste vor Lärm, Schmutz und Wertverlust der Wohnlagen aufzunehmen, im Dialog zu klären und so Akzeptanz zu schaffen. Dafür hat der VDI eine Richtlinie entwickelt, die Unternehmen hilft, Konflikte zu vermeiden.“

Produktion schafft Wohlstand

Dr. Martin Schönheit, Geschäftsführer von Dr. Schönheit + Partner Consulting und Engineering sowie Sprecher des Fachnetzwerkes Produktion und Logistik im VDI Bezirksverein Köln, formulierte das Ergebnis des Abends so: „Von Produktion geht Wohlstand aus. Deshalb muss Köln die Bedingungen dafür schaffen, dass gewerbliche Vielfalt in allen Stadtvierteln, gerade auch den zentralen, entstehen kann. Hier müssen Stadt, Industrie und Gesellschaft zusammenarbeiten und wertschätzend miteinander umgehen.“ Eindringlich warnte er davor, den Anschluss zu verpassen: „Es kommt eine gigantische Welle der digitalen Wertschöpfung auf uns zu, auf die wir nicht vorbereitet sind. Wir brauchen einen industriellen Masterplan für Köln, der alle Beteiligten einbindet. Woanders in der Welt ist man längst weiter.“

Dr. Ulrich Soénius, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der IHK Köln, kündigte an, das Thema schnell an die Verwaltung, die politischen Parteien und die Wirtschaftsförderung zu adressieren: „Wir werden das zum Thema machen und auch finanzielle Unterstützung für konkrete Maßnahmen einfordern.“ Die IHK Köln sei bei den Themen ‚Wohnen und Arbeiten‘ und ‚Anbindung der Gewerbegebiete an den Öffentlichen Nahverkehr‘ bereits konkret in Aktion getreten. „Unser Ziel ist es, einen breiten Konsens bei einer größeren Lösung zu erreichen.“

V.l.n.r.: Dr. Andreas Widl, Prof. Johannes Kister, Dr. Martin Schönheit, Horst Behr, Dr. Ulrich Soénius
Bildautor: Manfred Limbach

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